Immer jungfräulich

Immer jungfräulich

Ein Leser schreibt mir: „Immer öfter höre ich Aussagen, die mich zutiefst schockieren. Selbst in christlichen Gruppen wird behauptet, daß Maria nur vor der Geburt Jesu Jungfrau gewesen sei, und daß Jesus Brüder und Schwestern gehabt habe...“. Ja, das ist schockierend, denn die Jungfräulichkeit Marias ist in der Tat eine Glaubenswahrheit, die wir neu bestätigen an jedem Sonntag, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen: „Geboren von der Jungfrau Maria (Symbol der Apostel), hat Fleisch angenommen von der Jungfrau Maria (Symbol von Nicäa)“.

Die drei Sterne der dreifachen Jungfräulichkeit Marias

Der Abendhymnus für die Advents- und Weihnachtszeit, „Alma Redemptoris Mater“, betrachtet dieses Geheimnis: „Virgo prius ac posterius“, das heißt „Jungfrau ebenso vor wie nach Weihnachten“. Dem ist die Jungfräulichkeit Marias „in partu“ hinzuzufügen, das heißt, in der Weihnachtsnacht selbst: Das göttliche Kind, empfangen ohne Entjungferung, wird auch zur Welt gebracht, ohne die Integrität seiner Mutter zu verletzen. Diese dreifache Jungfräulichkeit der Gottesmutter ist es, die die drei Sterne der Ikonen, auf Stirn und Schultern Marias, würdigen und unterstreichen wollen.

 

In Hinblick darauf finde ich die Annäherung der beiden Geheimnisse sehr erhellend: des Geheimnisses vom Kommen des Wortes Gottes in unsere Welt und unser Fleisch (die Menschwerdung, am Tag der Verkündigung) und des Geheimnisses von seinem Verlassen dieser sichtbaren Welt (durch Auferstehung und Himmelfahrt). Im einen wie im anderen Fall handelt es sich nicht um das Kommen und Gehen eines Außerirdischen, gleich einem Objekt, das von außen käme und wieder in ferne Gefilde verschwände. Im Gegenteil: der „Körper“ des Wortes bildet sich unter dem Herzen Marias, in ihrem Innern. Er bricht nicht von außen in sie ein, durch den Willen eines Mannes oder die Fruchtbarkeit des Blutes (1). Ebenso vergeht der Körper des Gekreuzigten Ostern, vor Einbruch der Morgendämmerung, in der Glorie, aber ohne die Tücher, die ihn einhüllen, zu zerreißen oder fortzuschieben. Auch hier also kein Ausbruch. Ebensowenig erfolgt ein Einbruch am Abend, in den Raum, in den sich die Elf geflüchtet haben: Während die Türen des Raumes, in dem sie waren, verschlossen waren, kam Jesus (2).

 

Dies ist möglicherweise der Grund, aus dem er zu Maria Magdalena sagt: Berühre mich nicht. Er ist zwar zugegen, aber nicht mehr materiell wie ein greifbarer Gegenstand im Bereich unserer sinnlichen Erfahrungen. Umgekehrt besteht das Wort bereits als göttliche Gestalt zum Zeitpunkt seiner menschlichen Empfängnis, jedoch nicht auf menschlicher Ebene, als etwas irdisches. Das ist ein absoluter Neubeginn. Und diese Neuheit besteht auch bei den wundersamen Begleitumständen der Geburt.

Ein nahtloser Übergang von der einen in die andere Welt...

Eine weitere Parallele erscheint mir erhellend (3), diesmal jedoch in Bezug auf Maria, die immer jungfräuliche Mutter. Im Geheimnis ihrer Himmelfahrt gewahren wir, was „der Tod“ im Vorhaben Gottes gewesen wäre, hätte die Sünde den harmonischen Einklang der Schöpfung nicht zerstört: das Ende des irdischen Lebens Marias ist ein nahtloser „Übergang“ von einer Welt in die andere, von der Erde gen Himmel, eine Vollendung. Ebenso erfährt sie auch die nahtlose Geburt, wobei der Körper der Mutter und jener des Kindes sich voneinander lösen in völliger Sanftheit und Harmonie als Zeichen der Integrität ihres Wesens und der Einheit ihrer Herzen. Maria und Josef erhalten von Gott die größte Fruchtbarkeit, die es jemals auf dieser Welt gab – Maria, indem sie den Sohn Gottes zur Welt brachte, Josef, indem er ihm ein Vater war.

 

Außerhalb dieses beispiellosen Falls erzeugt die Fruchtbarkeit eines Paares notwendig eine vielköpfige Familie, zumindest im Plural, denn kein Kind erschöpft allein die Liebesfähigkeiten in den Herzen seiner Eltern, noch stellt es sie allein zufrieden. Maria und Josef haben sich ihrerseits eingelassen auf das außergewöhnliche Abenteuer einer göttlichen Fruchtbarkeit, und es ist wirklich nicht einzusehen, wie die Zeugung eines „eigenen“ Kindes sowohl ihr Glück als auch das Heil der Welt und die Herrlichkeit Gottes noch vergrößern könnte. Vielmehr wird deutlich, wie diese nur allzu oft durchkommende Vorstellung das Evangelium zum Fotoroman erniedrigt.

 

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(1) Johannes 1,12. Seit der Antike interpretieren dies die Manuskripte und Kommentare dieses Verses aus dem Prolog des Johannesevangeliums ebenso gut in spiritueller und allgemeiner Hinsicht (Geburt der Christen durch den Glauben) als auch in wörtlicher und persönlicher Hinsicht (jungfräuliche Geburt Christi).

(2) Johannes 20,19

(3) Der Leser nehme diesen Abschnitt als das, was er ist: als ein ganz persönlicher Gedanke, der nur seinen Urheber verpflichtet.